Une Jeunesse Allemande – Eine deutsche Jugend
Der französische Filmemacher Jean-Gabriel Périot hat sich in den letzten zehn Jahren in erster Linie als Kameramann, Cutter und Regisseur einen Namen gemacht, der Archivmaterial in den unterschiedlichsten Variationen bearbeitet und die menschliche Gewalt in einen völlig neuen Kontext setzt. Mit seinem ersten Langfilm widmet sich Périot nun sogleich dem äußerst schwierigen Thema der RAF Ära, die er von außen versucht zu beleuchten.
Von einer einfachen Studentenbewegung bis hin zur Gründung der RAF, eine Zeit in den 70er Jahren die aus den unterschiedlichsten Gesichtspunkten heraus bereits unzählige Male von den unterschiedlichsten Dokumentarfilmern versucht wurde zu beleuchten. Der Franzose Jean-Gabriel Périot (Nijuman no borei) wählt nun einen gänzlich anderen Ansatz, denn Périot hat nach eigenen Angaben über 1000 Stunden Film über besagte Zeit gesichtet und unzählige Bücher gelesen, nur um nun dieses Archivmaterial neu zu schneiden. Herausgekommen ist dabei ein überaus kritisches Werk, welches sich Archivmaterials bedient und daraus einen scharfen Kommentar über Gewalt und die deutsche Geschichte entstehen lässt.
Um dies allerdings in seiner Gänze zu bewältigen, beginnt Périot mit den Nachkriegsjahren und kurzen Filmaufnahmen, in denen sich vornehmlich junge Menschen mit der Vergangenheit und der gegenwärtigen Politik auseinander setzen. Es folgen Interviews, Mitschnitte von Studentenbewegungen und Reportagen von Ulrike Meinhof, die sich vor laufender Kamera zu den Gründen besagter Proteste zu äußern versucht. Was nun aufgezeigt wird, ist über die Jahre gesehen der Weg einer Studentenbewegung bis hin zur Radikalisierung, was schließlich in der Gründung der RAF und diversen Terroranschlägen mündet.
Bis es jedoch soweit ist, versucht Périot die unterschiedlichsten Stimmen gegeneinander zu schneiden, indem er Menschen wie Journalistin Ulrike Meinhof, Rechtsanwalt Horst Mahler, Filmemacher Holger Meins, sowie den Studenten Gudrun Ensslin und Andreas Baader eine Plattform gibt, gleichwohl aber auch Stimmen der deutschen Politik aufbietet und diese direkt dagegen setzt. Es entsteht ein vielstimmiges Kaleidoskop, bei dem die unterschiedlichsten Medien als Sprachrohr herhalten müssen. So wird der Zuschauer mit Filmzitaten aus Fassbinders „Deutschland im Herbst“ und Antonionis „Zabriskie Point“ konfrontiert, bevor sich der Blickwinkel abermals ändert.
So entstehen für den Zuschauer Wiedersprüche, Wiedersprüche die allerdings nie bewusst aufgelöst werden, da sich Périot zu keiner Zeit zu einem wertenden Kommentar hinreißen lässt. Er ist vielmehr der stumme Mann im Hintergrund, der Aussagen gegenüberstellt und dabei wertfrei Äußerungen gegeneinander laufen lässt. Wiedersprüche entstehen, so auch unterschiedliche Erklärungsversuche, warum Ulrike Meinhof zur RAF-Aktivistin wurde. Das alles ist insbesondere durch die wertfreie Darstellung interessant, um sich zum einen eine eigene Meinung zu bilden, zum anderen einen groben Überblick über eine Thematik zu erlangen, die inzwischen beinahe vier Jahrzehnte zurück liegt. Fragen nach dem Warum werden aber auch hier nicht beantwortet, daran ist Périot aber auch zu keiner Zeit gelegen. Er möchte den Zuschauer aufklären, ein Stück weit an die Hand nehmen, um ein Stück Vergangenheit der Bundesrepublik Deutschland Revue passieren zu lassen.
Filmemacher Jean-Gabriel Périot schneidet geschickt Archivmaterial gegeneinander und lässt damit bewusst Wiedersprüche entstehen, die zu keiner Zeit von ihm selbst kommentiert werden. Ein gelungener Blick von außen auf die RAF-Ära der Bundesrepublik, der in dieser Form wohl einmalig ist.
Ronny Dombrowski
Cinemastic
12. April 2015
www.cinetastic.de/2015/04/une-jeunesse-allemande-eine-deutsche-jugend/